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Alle Formen von Rassismus bekämpfen

Ansprache von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 10. November 2013 in der Synagoge in Memmelsdorf/Ufr.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, liebe Mitglieder des Träger- und Fördervereins, liebe Schwestern und Brüder,

gern habe ich die Einladung zum heutigen Gedenken angenommen, um an die schrecklichen Ereignisse der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu erinnern. Es war der Beginn der endgültigen Ausgrenzung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der deutschen Gesellschaft und führte in die Massenvernichtung der Konzentrationslager. Diese Nacht überschritt eine Hemmschwelle, denn zum ersten Mal wurden auch die Gotteshäuser geschändet, in Brand gesteckt und die heiligen Torahrollen entweiht. Nach der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze am 14. November 1935 waren die Juden schon entrechtet und zu Menschen zweiter Klasse erniedrigt. Die Rassengesetze waren Einschnitte im lebendigen Gesellschaftskörper Deutschlands und führten Trennungen dort ein, wo die Geschichte durch die Zugehörigkeit zum gemeinsamen Vaterland Einheit geschaffen hatte. Die Grundlage dazu bildete eine Sichtweise, die die Menschheit in unterschiedliche und hierarchisch gegliederte Rassen einteilte. Bekanntermaßen war der Rassismus in jenen Jahren in den europäischen Gesellschaften weit verbreitet und zu einer wahren Krankheit in Europa geworden. In diesem kranken Europa war es nicht mehr möglich, dass unterschiedliche Menschen zusammenlebten, was zur Vernichtung der Minderheiten und vor allem der jüdischen Minderheit führte.

Mit der Reichspogromnacht kündigte sich an, was ihr endgültiges Schicksal sein würde: die Beseitigung aus der Mitte der menschlichen Gemeinschaft. Die Shoah und somit die Vernichtung der Juden begann, indem man ihnen den heiligen Ort der Gegenwart Gottes raubte. Wo es keinen Raum für Gott gibt, da gibt es auch keinen Raum für den Menschen. 75 Jahre sind seit jenen dramatischen Ereignissen vergangen. Vielen stellt sich heute die Frage nach dem Sinn eines solchen Gedenkens. Vom in Spanien geborenen Philosophen George de Santayana stammt das Zitat: „Diejenigen, die sich nicht der Vergangenheit erinnern, sind verurteilt, sie erneut zu durchleben.“ Mir scheint dieser Satz auch angesichts neuester Entwicklungen nichts von seiner Aktualität verloren zu haben, besonders in Hinblick auf die Geschichte des Judentums in unserem Land und in ganz Europa. Insbesondere stellt sich die Frage dieser Erinnerung in einer Zeit, in der die meisten Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind. Vor wenigen Wochen verstarb der Shoah-Überlebende und bekannte Zeitzeuge Marcel Reich-Ranicki, ein unermüdlicher Mahner an die Schrecken dieser Zeit. Heute liegt es an uns, diese Erinnerung weiterzugeben, vor allem auch an die jungen Generationen.

Ich möchte auch besorgniserregende Ereignisse unserer Zeit nicht unerwähnt lassen, die uns deutlich vor Augen führen, wie nötig unser heutiges Gedenken ist. Der gegenwärtige Prozess anlässlich der Verbrechen der NSU und das damit zusammenhängende teilweise Versagen öffentlicher Institutionen haben uns hellhörig dafür gemacht, dass unterschwellig rechtsradikales und fremdenfeindliches Denken weiter verbreitet sind, als wir manchmal wahrhaben möchten. Als Bischof von Würzburg möchte ich auch deshalb für Aufmerksamkeit werben und zur Vorsicht warnen.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Erklärung Nostra Aetate über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen die besondere und untrennbare Verbundenheit zum Judentum hervorgehoben und jeder Form von Antisemitismus verurteilt: „Außerdem beklagt die Kirche, die alle Verfolgung gegen jegliche Menschen verwirft, im Bewusstsein des gemeinsamen Erbes mit den Juden, nicht aus politischen Gründen, sondern angetrieben von der religiösen Liebe des Evangeliums, Hass, Verfolgung und Manifestation des Antisemitismus, die, zu welcher Zeit auch immer und von welchen auch immer, gegen Juden gerichtet wurden“ (NA 4). Bei uns kann man noch deutlich die Spuren der Vernichtung und des Wütens von Verfolgung und Antisemitismus erkennen, die uns dauerhafte Mahnung sein müssen. Die biblische Theologie ist in beiden Testamenten eine Theologie der Erinnerung, die auf der Grundlage der menschlichen Erfahrung und gerade auch im Scheitern zum Nachdenken aufruft, um aus der Reflexion über die Vergangenheit den Willen Gottes zu erkennen und die Heilsgeschichte Gottes mitzugestalten.

Deshalb muss unbedingt an die Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnert werden. Nur so können wir heute aufmerksam alle Formen von Rassismus bekämpfen, der den Keim der Vernichtung des anderen in sich trägt und das demokratische Zusammenleben untergräbt. Angesichts des Gedenkens an die Opfer der Verfolgung der jüdischen Mitbürger sind wir verpflichtet, jede Form von Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen. Das sind wir den Toten des Rassismus schuldig, und es ist auch ein konkreter Einsatz, um eine menschlichere Gesellschaft für alle aufzubauen.

Die Shoah ist zweifellos in vielerlei Hinsicht eine Geschichte, die nicht vorbei ist: Ihre Folgen sind noch sichtbar, sie hat die Geschichte und das Gesicht Europas unauslöschlich verwandelt, insbesondere in Osteuropa, weil sie eine ganze Welt vernichtete. Aus der Asche von Auschwitz erstand schließlich auch der Traum eines Europas ohne Grenzen und Trennungen. Dort begann der europäische Einigungsprozess. Adenauer, Schuman oder De Gasperi, die Gründerväter der europäischen Einigung mit christlicher Inspiration, hatten auf der Grundlage dieser dramatischen Erfahrung die Einsicht gewonnen, dass nur ein geeintes Europa, das sich seiner Geschichte bewusst ist, eine bessere Zukunft ohne Krieg und Rassismus aufbauen kann. Zweimal waren von unserem Kontinent Kriege ausgegangen, die zu Weltkriegen wurden, ganze Länder zerstörten und Millionen Menschen das Leben kosteten. Nun war und ist es an der Zeit, dass von Europa ein Friede und ein Verständnis für Menschenrechte ausgehen, die sich auf der ganzen Welt ausbreiten.

Vor wenigen Wochen hat Papst Franziskus Vertreter der jüdischen Gemeinde von Rom anlässlich des 70. Jahrestages der Deportation der Juden Roms am 16. Oktober 1943 empfangen. Seine Worte weisen darauf hin, dass Gedenken und Erinnerung auf Zukunft hin ausgerichtet sind. Ich möchte den Papst zitieren: „Das Gedenken an ein Ereignis bedeutet jedoch nicht einfach nur Erinnerung, es beinhaltet auch und insbesondere unser Bemühen, die Botschaft zu verstehen, die uns dadurch heute vermittelt wird. Denn das Gedenken an die Vergangenheit soll uns in der Gegenwart eine Lehre sein und zum Licht werden, das den Weg in die Zukunft erleuchtet. Der Selige Johannes Paul II. hat geschrieben, dass das Gedenken eine notwendige Funktion ausüben soll und 'zum Aufbau einer Zukunft beiträgt, in der die unsagbare Schandtat der Shoah niemals mehr möglich sein wird' (Einleitender Brief zum Dokument: Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden, Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah, 16. März 1998) und Benedikt XVI. sagte im Konzentrationslager Auschwitz: 'Das Vergangene ist nie bloß vergangen. Es geht uns an und zeigt uns, welche Wege wir nicht gehen dürfen und welche wir suchen müssen' (Ansprache, 28. Mai 2006)“ (Botschaft von Papst Franziskus zum 70. Jahrestag der Deportation der Juden Roms, 11. Oktober 2013).

Daher danke ich Ihnen, liebe Mitglieder des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf für Ihren wichtigen Einsatz im Rahmen dieser Gedenkkultur, die auch 75 Jahre nach dieser schrecklichen Nacht nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren. Im Gegenteil, gerade angesichts der Tatsache, dass die Zeitzeugen überwiegend verstorben sind und leider vermehrt Bewegungen in Europa auftreten, die fremdenfeindliches und rassistisches Gedankengut verbreiten, halte ich es für unbedingt notwendig, dieses Gedenken mit Leben zu erfüllen und solche Orte der Erinnerung besonders für unsere Jugendlichen einzurichten, damit sie die Botschaft der Vergangenheit verstehen, in der Gegenwart eine Lehre daraus ziehen und ein Licht entdecken, um einen menschlichen Weg für ein Europa zu finden, das auf der Grundlage seiner jüdisch-christlichen Fundamente für alle Völker der Erde zu einer Quelle des friedlichen Zusammenlebens der Völker, Religionen und Kulturen werden möge.