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„Auf die christlichen Grundlagen besinnen“

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann zur Festmesse der Cartellversammlung der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), 29. Mai 2016, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Schwestern und Brüder,

dankbar dürfen wir miteinander heute den 160. Geburtstag unseres Cartellverbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen im Würzburger Sankt-Kilians-Dom feiern. Mit rund 30.000 Mitgliedern – davon circa 4000 Studierende – ist er der größte katholische Akademikerverband in Europa. Vertreter der 125 Verbindungen und der vier befreundeten Bünde aus circa acht Ländern haben ihren Weg nach Würzburg gefunden und sind unter uns. Unter den Leitgedanken „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts“ hat das amtierende Vorortspräsidium des CV sein Amtsjahr 2015/2016 gestellt. Mit dieser Feier wollen wir miteinander nicht nur dankbar zurückschauen, sondern uns der eigenen Prinzipien vergewissern und einen Impuls in die Zukunft setzen.

Die seit 1856, dem Gründungsjahr des Cartellverbandes, gepflegten Prinzipien sind scientia, religio, amicitia und patria. In der heutigen pluralistischen und sich im Umbruch befindlichen Gesellschaft ist es umso wichtiger, sich auf die eigenen christlichen Grundlagen zu besinnen und sie umzusetzen. Die Begründung für die Sinnhaftigkeit moralischen Handelns finden wir nicht innerhalb ökonomischen und wirtschaftlichen Denkens. Sie liegt außerhalb profitorientierter Strukturen, ja außerhalb menschlicher Verfügungsmasse. So sehr die Politik auf ethische Grundlagen angewiesen ist, so wenig kann sie sie selbst hervorbringen. Ethische Grundlagen, sprich der Wertekanon, wird dem Menschen vorgegeben und nicht von ihm selbst gemacht.

Diese Prämisse wird heute von vielen Menschen nicht geteilt. Es herrscht allgemein die Vorstellung, dass der Mensch – zumindest mehrheitlich – darüber abstimmen müsste, was für ihn gut und richtig ist. Aber wie finde ich die allen verbindliche Basis, wenn sie selbst zur Disposition steht?

Die Frage nach den Werten, die heute „zumindest einen Teil der Meinungsmultiplikatoren“ in unserer Gesellschaft erreicht, scheint eine Renaissance zu erleben. Erfreulicherweise fragen auch viele junge Menschen erneut nach den Werten und ihrer Begründbarkeit. Es werden zuverlässige Grundlagen gesucht, auf denen sich das eigene und das Leben der Gesellschaft sinnvoll aufbauen lassen. Was hat verbindlichen Bestand angesichts der Infragestellung vieler alter Werte? Wie kann ein Friede gefunden werden angesichts der zunehmenden Zahl an Kriegsverbrechen, angesichts der Kriminalität, der Korruption, einer spürbar wachsenden Armut und der großen Fluchtbewegungen und Asylsuchenden, die auch zu uns kommen?

Sicherlich bildet das Naturrecht eine unerlässliche Basis der Menschenrechtspolitik, ersetzt aber nicht die religiösen Sinnentwürfe der Weltreligionen. Papst Johannes Paul II. sagte: „Insofern das Naturgesetz die Würde der menschlichen Person zum Ausdruck bringt und die Grundlage für ihre fundamentalen Rechte und Pflichten legt, ist es in seinen Geboten universal, und seine Autorität erstreckt sich auf alle Menschen.“

Was aber, so können wir fragen, bringen christliche Werte an Bedeutendem für die Menschheitsfamilie ein? Früher sprach man von den Kardinaltugenden: Klugheit, Tapferkeit, Maßhalten und Gerechtigkeit. Dazu kommt aus der christlichen Tradition auch noch der Bezug zur Gottesfurcht. Diese Tugenden – so scheint mir – gelten heute oft als zweitrangig oder gar als antiquiert, da sie der heutigen individuellen Lust- und Luxusmaximierung entgegenstehen. Das heutige Konsumverhalten, das großenteils Materialismus und Hedonismus huldigt, steht nicht nur dem Christentum, sondern auch früher ganz selbstverständlich akzeptierten Werten entgegen.

Die eigentlichen Quellen, aus denen sich christliche Wertvorstellungen ableiten, sind die Evangelien und die zehn Gebote. Was wäre unsere abendländische Kultur ohne Akzeptanz des Dekalogs?

Auf dem Berg Sinai – so berichtet uns das Buch Exodus – hat Gott Moses die zehn Gebote als Grundlage des Bundesschlusses mit seinem Volk gegeben. Es ist leicht, die Bedeutung dieses Dekalogs für die ganze Menschheit zu erkennen:

– Sabbatheiligung – Sonntagsgebot,

– Elternliebe,

– Tötungsverbot,

– Keuschheit,

– Akzeptanz des Eigentums,

– Wahrheitspflicht.

Zu den zehn Geboten kommt das uns in den Evangelien übermittelte christliche Menschenbild: Jeder Mensch hat seine Würde aus seiner Gottebenbildlichkeit. Er ist einmalig, unwiederholbar, in seiner Würde unantastbar. Im Nächsten begegne ich Christus. Mann und Frau sind gleichwertig.

Ausgefächert werden diese Grundlagen in vielen Äußerungen der Kirche. So lauten die in der Soziallehre der Kirche  festgehaltenen Einzelpunkte:

– Solidarität mit den Armen, Benachteiligten und Schwachen,

– Eintreten für die Grundwerte: Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe (so in der Enzyklika „Pacem in terris“),

– Verantwortung für das Gemeinwohl,

– Achtung der Menschenwürde,

– Anerkennung des Wertes der Arbeit (Enzykliken „Rerum novarum“ und „Laborem exercens“),

– Schutz der Familie als gesellschaftliches Fundament,

– Achtung vor dem Leben.

So klar diese Positionen sind, so angefochten bleiben sie dennoch. Eine mögliche Ursache, diesen Werten nicht mehr zustimmen zu wollen, kann die Vorstellung von vermeintlicher Wertefreiheit der Wissenschaft sein. „Man spricht von der Implementierung von Normen als Orientierungsmaßstäben und darüber, dass es sich bei Werten um die Internationalisierung von Vorstellungen über das Wünschenswerte handelt.“ Was aber ist „wertvoll“, was „wünschenswert“?

Die objektive Begründung des Rechts ist deshalb so schwierig, weil sie auf die in der Gesellschaft subjektiv vorhandenen Wertauffassungen zurückgeht. Das Problem besteht darin, dass sich innerhalb der Gesellschaft Wertvorstellungen nach eigenem Gutdünken bilden und verändern.

Heute versucht man die „Werte“ aus der Rationalität und Logik herzuleiten. Der geradezu an Naivität grenzende Glaube an die Neutralität und den Segen der Wissenschaft wird als der Königsweg zum Glück angesehen. Wissenschaftliche Vernunft kann aber keine ethischen und sozialen Werte schaffen. „Der Frage der Naturwissenschaften ,was ist der Mensch‘ stellen die Geisteswissenschaften die Frage gegenüber ,wer ist der Mensch‘.“

Ethische Werte können nicht allein mit einer vermeintlichen einsichtigen Logik oder einer vermeintlichen wissenschaftlichen Rationalität gefunden und begründet werden. So sind die uns im jüdisch/christlichen Glauben vorgegebenen und erprobten Werte Grundlagen, auf denen die Menschheit eine tragfähige gemeinsame Zukunft gestalten kann. Jenseits diktatorischer und auch demokratisch – per Abstimmungen – veränderbarer Rechtsgrundlagen ist hier ein Wertefundament der Verfügbarkeit menschlichen Zugriffes entzogen und damit beständig.

Als Christen müssen wir einem Zeitgeist wehren, der „Waren“ vor „Werten“ rangieren lässt. Wir dürfen, ja müssen uns in eine Gesellschaft einbringen, die möglicherweise ihre eigenen Grundlagen zerstört, aus denen ihr Frieden und Prosperität erwachsen sind. Nehmen wir unsere Berufung als Christen wahr, die christlichen Werte in einer Gesellschaft zu vertreten, die ohne diese nicht entstanden wäre, und ohne die sie keine Chance hat zu überleben.

Amen.