Liebe Brüder im Bischofs-, Priester- und Diakonendienst, liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
wir haben uns heute mit der Freisinger Bischofskonferenz im Bildungshaus „Maria an der Sonne“ in Schmerlenbach versammelt. Diese Wallfahrtskirche, die als Ordenskirche der Benediktinerinnen bis ins Mittelalter zurückreicht, beherbergt als Gnadenbild die ‚Mutter Gottes von Schmerlenbach’, eine Pietädarstellung aus Lindenholz, die aus dem 14. Jahrhundert stammt.
Unzählig viele Menschen sind im Laufe der Jahrhunderte zu dieser Schmerzensreichen gepilgert und haben ihr ihre Bitten und Anliegen anvertraut.
Der Kontrast zwischen der einfachen plastischen Figur und der kostbaren künstlerischen Ausgestaltung geben der Schmerlenbacher Madonna ihr unverwechselbares Gepräge. Der proportional übergroße Kopf der Gottesmutter verweist auf die Bedeutungsperspektive. Ihr von Schmerzen gezeichnetes Gesicht zeigt überdeutlich ihre große Trauer um den toten Sohn, dessen Seitenwunde – die die Mystiker als ‚Blutstraube’ bezeichneten – ebenfalls übergroß dargestellt ist.
1982 übernahm das Bistum Würzburg die Gebäude des ehemaligen Klosterhofes und baute sie zu dem jetzigen Bildungs- und Exerzitienhaus um. 1985 hatte mein Vorgänger Bischof Paul-Werner Scheele den Verantwortlichen mit auf den Weg gegeben: „Möge dieses Zentrum ein Ort geistiger Bildung und christlicher Erneuerung werden für die Kirche Jesu Christi in der Welt von heute.“ (Roth, Elisabeth: Schmerlenbach. Tradition und Neubeginn. Würzburg 1987, 70)
Will man ein geeignetes Stichwort finden, das das Besondere dieses Tagungshauses im Kreis der neun kirchlichen Tagungshäuser unseres Bistums Würzburg ausdrückt, dann könnte es das Wort Gastfreundschaft sein. Ich hoffe, dass wir – wie alle Pilgerinnen und Pilger – diese Gastfreundschaft erfahren konnten und können.
Gastfreundschaft ist ein großes Thema der Heiligen Schrift. Erwähnen möchte ich hier nur den heiligen Paulus, der im Römerbrief schreibt: „Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind; gewährt jederzeit Gastfreundschaft!“ (Röm 12,13). Im Hebräerbrief heißt es noch pointierter: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13,2)
Das Thema Gastfreundschaft hat auch der heilige Benedikt, dessen Spiritualität in diesem Benediktinerinnenkloster gepflegt wurde, besonders herausgestellt. In seinen Anweisungen fordert er auf: „Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern… Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut… Man lese dem Gast die Weisungen Gottes vor, um ihn im Glauben zu erbauen; dann nehme man sich mit aller Aufmerksamkeit gastfreundlich seiner an.“
Im 53. Kapitel seiner Regeln heißt es: „Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus, denn er wird sagen: ‚Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen’.“ Leider hat diese Passage eine heute unerhört aktuelle Bedeutung erhalten in den vielen Migranten, die in immer größerer Zahl aus den jetzigen Krisengebieten dieser Erde teils regelrecht traumatisiert zu uns kommen. (Im vergangenen Jahr waren es in Unterfranken allein 2700!)
Die heutige Tageslesung fordert uns auf, jeden Menschen „frei von jedem Ansehen der Person“ (Jak 2,1) anzunehmen. Ja, Jakobus schreibt, dass Gott die Armen in der Welt auserwählt hat, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben (vgl. Jak 2,5). Dies muss durch unsere erlebbare Gastfreundschaft erfahrbar werden.
Die Quintessenz Jesu bei der Bergpredigt lautet: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ – Es ist unfassbar: Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Unterernährung. Heute leiden noch 925 Millionen Menschen an Hunger.
Während in dieser globalen Herausforderung eine stärkere Unterstützung lokaler Infrastrukturen – vor allem in der Landwirtschaft – nötig ist, eine gerechtere Verteilung der Güter und eine gerechte Entlohnung für deren Natur- und Bodenschätze und für deren Arbeit, so ist doch auch bei uns im eigenen Land das Thema Gastfreundschaft gerade in unserer oft genug auf Profit ausgerichteten Gesellschaft ein zentrales Thema.
Dieses Bildungshaus mit der Wallfahrtskirche Maria an der Sonne hat im Blick auf die konkrete benediktinische Gastfreundschaft eine identitätserhaltende Verpflichtung. Schmerlenbach war und ist ein Ort der Gastlichkeit im benediktinischen Geist. Ebenso will Schmerlenbach ein Ort der Begegnung und Bildung sein, ein Ort „des Hörens auf Gott und aufeinander, wo der Mensch in seiner Würde zu sich selbst kommt“, wie es Abt Notker Wolf einmal formulierte (Wolf, Notker: Wir laden Sie ein. Benedikt und Gastfreundschaft. In: Die Botschaft Benedikts, 2008, 13)
Der Text der Pastoralkonstitution des Zweiten Vaticanums nimmt zur Kirche in der Welt von Heute Stellung und besagt: „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allezeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie… auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens… Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen.“ (GS 4)
Dies ist im Kern auch das Grundverständnis kirchlicher Erwachsenenbildung und Zielsetzung dieses Hauses. Der Mensch soll hier zur Ruhe kommen mit seinen Freuden und Hoffnungen, mit seiner Trauer und seinen Ängsten, mit seinen Fähigkeiten und Begabungen, aber auch mit seinen Schwächen und Schattenseiten. Hier soll er Zeit finden, Jesus Christus als unseren Herrn und Erlöser zu erkennen und anzubeten, so wie ihn Petrus bekannte: „ Du bist der Messias!“ (Mk 8,29)
Dankbar dürfen wir auf unsere diesjährige Frühjahrstagung der Freisinger Bischofskonferenz in Schmerlenbach, die heute Mittag zu Ende gehen wird, schauen.
Möge unser gemeinsames Sorgen um die Kirche in Bayern, das auf das Gebet der Pilgerinnen und Pilger angewiesen ist, reiche Frucht bringen und zum bergenden Mantel der Gastfreundschaft Jesu werden. Amen.