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„Gott schaut uns im Kind von Betlehem an“

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann in der Heiligen Nacht, 24. Dezember 2015, im Kiliansdom Würzburg

Liebe Schwestern und Brüder,

vor wenigen Tagen las ich von der mündlichen Beschwerde eines Mannes aus Ostdeutschland. Sie lautete: „Wenigstens Weihnachten sollen uns die Christen lassen.“ Dieser Ausspruch ist nur vor dem Hintergrund der Weihnachtskultur der DDR zu verstehen. „Wenigstens Weihnachten sollen uns die Christen lassen.“ Ich erwähne dieses Zitat nicht, um sich darüber zu empören, sondern um deutlich zu machen, dass für viele unserer Mitmenschen ‑ auch bei uns im Westen ‑ das Weihnachtsfest nicht mehr mit der Geburt Jesu Christi in einen Zusammenhang gebracht wird. Zwar prägt dieses Fest noch die Familie, gibt ihr etwas Sakrales, schafft Verbindungen untereinander und schließt eine Geschenkekultur ein, aber der tiefere, dieses Fest begründende Sinn ist oft schon verloren gegangen. Sie sind heute Nacht, in der Heiligen Nacht, in den Dom gekommen, um sich dem Geheimnis der Weihnacht zu nähern.

Wir bekennen die Menschwerdung Gottes in der Person Jesu Christi. Er, der schon lange vorher von den Propheten Israels verheißene Messias, ist tatsächlich gekommen: und zwar als kleines hilfloses Kind in der Armut eines Stalles oder einer Höhle. Kein Wunder, dass damals und auch heute viele Menschen dieses von Papst Benedikt XVI. als „kosmologisch“ bedeutsam bezeichnete Geschehen nicht verstehen. Die frommen Juden der damaligen Zeit erwarteten den Messias in Glanz und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommend.

Und heute? Angesichts des zunehmenden Elends in dieser Welt fragen sich viele unserer Mitmenschen: Kann denn solcher Unfriede, Grausamkeit und Brutalität weiterhin um sich greifen, wenn doch in Jesus Christus der Friedensfürst gekommen ist? Ist es zu verstehen, dass zurzeit 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind und davon allein fast eine Million in unserem Land Schutz und Hilfe suchen?

In der ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja hörten wir im Zusammenhang mit der Ankündigung des Messias von Erlösung, Heil und Herrlichkeit. Abgesehen davon, dass viele von uns nur schwer etwas mit diesen Begriffen anfangen können und besser Freiheit, Gesundheit und Freude verstehen, müssen wir doch sagen, dass wir dies alles trotz des verheißenen Weihnachtsfriedens großenteils vermissen. Erst recht wird es den Flüchtlingen so gehen. Was haben sie nicht alles erleben müssen: die Aufgabe ihres Zuhauses, ihrer Heimat und Verwandtschaft, ihrer Arbeit und ihrer Kultur. Vor wenigen Tagen habe ich viele sprechen können, die meiner Einladung zu einem ökumenischen Gottesdienst in den Dom gefolgt waren und ihre körperlichen wie seelischen Verletzungen ansprachen.

Der weltweit gefährdete Friede, der auch bei uns bedroht ist, lässt uns immer wieder nach den Ursachen fragen. Ich kann hier im Einzelnen die Gründe nicht ausdifferenzieren. Aber neben Brutalität und missbrauchter Religion ‑ beziehungsweise vorgeschobenen religiösen Gründen ‑ geben wohl Lebensenttäuschung und Minderwertigkeitsgefühle dafür einen Nährboden ab.

Das Weihnachtsgeschehen, die Geburt des Kindes von Betlehem, ist genau das Gegenteil: Gott kommt nicht machtvoll, strahlend und überwältigend, sondern im Gegenteil: arm, klein und hilfsbedürftig. Hier kommen wir an das Geheimnis der Liebe Gottes heran. Gott naht sich uns nicht mit Gewalt, Macht und Drohgebärde. Er klopft leise bei uns an. Er liebt und wartet. Wenn es uns in den Kram passt, dann wünschen wir, dass Gott mit Macht und Gewalt das Unrecht in dieser Welt beseitigt. Wenn wir uns selbst aber einem richtenden Gott gegenübersehen, erhoffen wir Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung.

Aus der Feder des Evangelisten Matthäus hörten wir eben im Evangelium von der eigenwilligen Botschaft Gottes, die er auch dem heiligen Josef, dem Bräutigam Mariens, aufbürdete. Er wollte in der Jungfrau Maria Fleisch annehmen und Josef sollte diese Vaterschaft akzeptieren, ohne der Vater zu sein. Gott mutet auch uns gerade in seiner zerstörbaren Liebesbezeugung einiges zu. Er liefert sich uns aus ‑ bis zum Kreuzestod. Dieser erniedrigende und äußerst qualvolle Kreuzestod Jesu schloss zunächst ein aus irdischer Perspektive gesehenes Scheitern ein. Die Auferstehung Jesu, die in eine andere Dimension führt, bleibt im Bereich des Glaubens zunächst verborgen.

Stellen wir also noch einmal die Frage nach der Wirkung des Gottessohnes und Friedensfürsten in unseren Tagen. Gott lässt das Böse zu. Er erträgt all das Unrecht und das damit verbundene Leid, weil er uns die freie Willensentscheidung für Gut und Böse gegeben hat. Er geht mit jedem Leidenden. Und im Antlitz eines jeden Entrechteten und Gefolterten kommt er uns entgegen. Es kommt also auf jeden Einzelnen von uns an, was wir aus der gegebenen Situation machen. Gott schaut uns in dem kleinen Kind von Betlehem an. Wie erwidern wir heute seinen Blick? Wie antworten wir auf seine Liebesvorlage? Das ist die große Herausforderung dieser Heiligen Nacht.

In einer kleinen Geschichte wird davon berichtet, dass über einem Geschäft mit himmlischen Waren große Worte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Friede und Freude zum Kauf angeboten werden. Als potentielle Käufer im Laden diese Werte erwerben wollen, bekommen sie von den Verkäuferinnen nur Päckchen mit entsprechendem Samen. Auf den Protest der Leute antworten die verkaufenden Engel: „Wir verkaufen nicht die Früchte, wir verkaufen nur den Samen.“

Amen.