Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,
einer der spektakulärsten und umstrittensten Künstler des 20. Jahrhunderts ist der Rheinländer Joseph Beuys. Er hatte völlig neue Ideen in den Kunstbetrieb seiner Zeit eingebracht. Sätze wie „Jeder Mensch ist ein Künstler“ oder „Die Priester haben ihren Auftrag verscherzt, jetzt übernehmen die Künstler diese Aufgabe“ (beim Baseler Happening) haben sich in das moderne Gedächtnis der Menschen eingeprägt.
Seine Arbeiten mit den vergänglichen Materialien Filz und Fett haben bei vielen mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Wegen des Nichtverstehens war so manches Unverständnis die Folge. Denken wir nur an die Badewanne, die im Museum von einer Reinigungsfrau vom vermeintlichen Schmutz befreit wurde – und dadurch einen Skandal auslöste, weil damit die darin geborgene künstlerische Aussage nach einem Happening verloren gegangen war.
Wer Joseph Beuys verstehen will, muss sich an dessen entscheidende Lebenserfahrungen herantasten. Er war im Zweiten Weltkrieg Pilot und wurde über der Sowjetunion abgeschossen. Arme russische Menschen fanden ihn zerschunden am Boden liegend, cremten ihn mit Fett ein, wickelten ihn in eine Filzdecke und retteten ihm so das Leben. Sein ganzes Leben lang hat er diesen Rettungsvorgang nicht vergessen. So wurde für ihn Fett und Filz zu einem Überlebenssymbol. Deshalb verwendete er des Öfteren diese Materialien in unterschiedlichen Arbeiten. Wer den Hintergrund seiner Erfahrungen mit Fett und Filz kannte, verstand auch seine Aussagen.
Liebe Schwestern und Brüder,
in dieser heiligen Messe werden die heiligen Öle für die Sakramentenspendung des kommenden Jahres geweiht. Zufällige Besucher dieses Gottesdienstes werden sich fragen: Was soll das? Hier geht es nicht einfach um Symbolhandlungen, die Erinnerungen wach rufen. Hier geht es um viel mehr!
Zweifellos gehört zu den Höhepunkten eines kirchlichen Jahres diese heilige Chrisammesse. Beginn und Ende eines menschlichen Lebens sind dabei genauso im Blick wie die lebensbestimmenden und lebensverwandelnden Weihen, die mit diesen Ölen gefeiert werden.
Katechumenenöl, Chrisam und Krankenöl verweisen aufgrund der hier vollzogenen Weihe auf den, der allein unser Leben geben, verändern und vollenden kann: auf Gott. Von daher sind alle Hilfen, die wir innerhalb unserer Kirche vermitteln dürfen, Werk Gottes, das sich bis in diese Stunde hinein zieht. Wir spulen keine alten Riten ab. In diesen Zeichen vollzieht sich aktuell die Wirkmächtigkeit Gottes.
Soeben hörten wir in den Lesungen vom Gebrauch der Öle in der Heiligen Schrift. Öl hat eine wohltuende Wirkung. Es steht für Gesundheit, Freude und Kraft des Geistes.
Gesalbt wurden im Alten Bund vor allem Könige und Priester. Durch das sinnenfällige Zeichen der Salbung legte Gott sichtbar seine Hand auf sie und nahm sie in seinen Dienst. Die Salbung ist dabei mehr als ein akzidentelles, kosmetisches Geschehen. Sie ist eine zum Handeln Gottes befähigende sichtbare Wirkweise Gottes.
Durch die Salbung verändert sich grundsätzlich etwas im Menschen:
Bei der Taufe strömt Gottes Kraft in diesen Menschen, nimmt ihm den vernichtenden Tod und bereitet ihn für das ewige Leben.
Bei der Firmung erschließt und erfüllt der Geist Gottes das Innerste des Menschen und nimmt für immer Wohnung in ihm.
Bei der Priesterweihe wohnt Christus in diesem Menschen ein und macht den Geweihten zum (lateinisch gesprochen) “alter Christus“, zu der Person, durch die Christus sakramental handelt und durch die er auch menschlich erfahrbar werden will! (Welch eine Herausforderung!)
In der Krankensalbung schließlich erkennen wir die in der heiligen Ölung durch Gott sichtbar angezeigte Vergebung menschlicher Schuld und Hilfe für den letzten Weg.
Liebe Schwestern und Brüder,
Christus heißt: der Gesalbte. Christus ist als der Gesalbte der erwartete Retter. Er hat in der Synagoge von Kapharnaum die so eben gehörte Stelle des Propheten Jesaja auf sich bezogen. Dort heißt es: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt.“ Und weiter: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herzen zerbrochen ist.“ (Jes 61,1)
Dies ist auch das Gebot dieser Stunde. Wir, die Priester, Diakone und Ordensleute, sind aufgefordert, den Armen eine frohe Botschaft zu bringen und die zerbrochenen Herzen zu heilen. Dies gelingt nicht ohne Anstrengungen. Hans Urs von Balthasar hatte es vor Jahren schon einmal so formuliert: „Immer von neuem hat der geistige Entschluss in den rebellischen Körper abzusteigen, sich neu zu inkarnieren. Tag für Tag und Jahr für Jahr muss sich die Entscheidung zu Christus, dem Jungfräulichen, zur ebenfalls jungfräulichen und deshalb mütterlichen Kirche als stärker erweisen denn die plausibelsten Einwände des sinnlich verfassten Menschen. Wahrlich eine Nachfolge Christi im Akt der Inkarnation und darin auch eine Nachfolge der ‚niedrigen Magd’, die bis in ihre ungeistigsten Fähigkeiten hinein verfügbar und durch Gott fruchtbar ist. Und das ‚Gesetzhafte’ daran: dass man diesen Entschluss zur Nachfolge ähnlich unwiderruflich machen durfte, wie der Entschluss des Sohnes zur Inkarnation unwiderruflich bleibt.“ (In: Katholisch, 1975, 83)
Was sich jetzt wirkmächtig unter uns ereignet, fordert auch unseren ganzen Einsatz, damit das Reich Gottes kommen kann. Nutzen wir die Gunst dieser Stunde.
Amen.