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„Wanderer zwischen zwei Welten“

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Pontifikalgottesdienst zum Jubiläum 1200 Jahre Abtei Münsterschwarzach, 4. September, in der Abteikirche Münsterschwarzach

Lieber Abt Michael,

liebe Mitbrüder hier in der Abtei und von nah und fern,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

heute dürfen wir miteinander ein außergewöhnliches Fest feiern: 1200 Jahre Abtei Münsterschwarzach. Es ist ein so langer Zeitraum, dass wir ihn emotional kaum erfassen und mental nur streifen können. Während alles so flüchtig ist, und unsere Zeit voller Turbulenzen und fordernder Umbrüche ist, erscheint diese lange Ordenszeit wie eine Konstante in der vorbeirauschenden Geschichte.

Aber wir alle wissen, dass auch dieses Kloster, diese Abtei nicht von gewaltigen Erschütterungen verschont blieb. So gefällt mir der Gedanke von Johannes Mar in seiner Einleitung zum Büchlein „Münsterschwarzach. 1200 Jahre einer fränkischen Abtei“ sehr gut: „... flüchtig ist auch, was fest gefügt scheint. Die einzige Konstante, die seit Urzeiten das Tal prägt, ist der Fluss (Main). Seit den Tagen der alten Abtei hat sich alles an seinen Ufern geändert, auch der Fluss selbst. Aber er leitet immer noch das abfließende Wasser der umliegenden Mittelgebirge zum Rhein und zum Meer, damit es im Regen zurückkommt als Teil eines ständigen Kreislaufs, dem der Fluss ebenso angehört, wie die Bauten an seinem Ufer.“

Im Bewusstsein der Flüchtigkeit unseres menschlichen Lebens begnügen wir uns nicht achselzuckend mit der Wahrnehmung der Erkenntnis Kohelets: „Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.“ Unsere Konstante dagegen ist Gott.

Wir Menschen sind ausgestreckt zwischen dem Heute und dem Morgen, zwischen dieser unserer Erde und der uns verheißenen Gottesherrschaft. Man könnte sagen: Wir sind Wanderer zwischen zwei Welten. Und genau das macht das Kernstück der wechselnden Geschichte dieser Abtei aus. Obwohl die äußeren Umstände Auf- und Niedergänge verzeichnen, macht die innere Mitte dieser Abtei den Versuch aus, das Flüchtige unseres Daseins in die zeitlose, beständige Gegenwart Gottes hinein zu öffnen.

Hinter der Gründung dieses Benediktinerklosters stehen der Wille und das Bemühen, den Weg aus der Vergänglichkeit in die Unvergänglichkeit zu finden und zu vermitteln. So zeigt schon der Blick auf die mit der Gründung zusammenhängende älteste Privaturkunde Frankens die Motivation, „nach oben“ und „nach innen“ zu gehen: „Da der Mensch in seiner Hinfälligkeit das Ende des Lebens fürchtet, und da er Angst hat vor dem plötzlichen Hinübergang in eine andere Welt, so ziemt es sich, solange noch Zeit ist, vorzusorgen, dass er nach diesem Leben mit Gottes Gnade in die ewige Glückseligkeit eingehen kann.“

Mit großer Hingabe und auch sichtbarem Erfolg haben die hier lebenden Mönche dieses Überschreiten des Sichtbaren in die unsichtbare Wirklichkeit Gottes nicht nur im Angesicht des Todes, sondern täglich im eigenen Lebensvollzug und in den sichtbaren Werken – Literatur, Musik, Kunst, Architektur et cetera – immer wieder neu gewagt.

Heute stehen wir in einem gesellschaftlichen Umbruch, wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland nicht mehr erlebt haben.

Heute Morgen schließt mit diesem feierlichen Amt auch das zum 1200-jährigen Jubiläum stattfindende Symposion ab, das unter dem Thema steht: „Die Anderen – meine Zukunft! Heutige Herausforderungen für Morgen“. Die Herausforderungen sind gewaltig: die weltweit heute noch steigende Flüchtlingsproblematik, das Leben der Menschen an den Rändern unserer Gesellschaft, die immer mehr an Schärfe gewinnende Gottesfrage, die Globalisierung und die Ausbeutung unserer Welt mit katastrophalen Folgen für den Klimawandel. Diese wenigen Stichworte können nur die anstehenden Probleme und Aufgaben anreißen.

Der frühere (58.) Benediktinerabt von Einsiedeln, Martin Werlen, hat in seinem Buch „Heute im Blick. Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht“ die Wunden unserer Zeit und die Herausforderung für unsere Kirche aufgezeigt. Er beschließt seine Analyse und seine Anregungen für eine wache Kirche mit einem Gebet, das uns aufrütteln will:

„Du bist ein Gott der Überraschungen!

Das hat selbst deine Kirche in den vergangenen Jahrzehnten in den großen Herausforderungen fast vergessen.

Wir wurden immer mehr wahrgenommen als eine Institution, die verbietet, die Privilegien verteidigt, die verurteilt, die festgefahren ist.

Viele haben sich von der Kirche verabschiedet, weil sie das Wesentliche unseres Glaubens nicht mehr wahrgenommen haben.

Und da schenkst du uns einen Jesuiten vom Ende der Welt als Bischof von Rom.

Er lässt aufhorchen.

Er erinnert uns Tag für Tag durch Wort und Tat, dass du den Menschen liebst und mit ihm sein willst.“

Auf dem Weltjugendtag in Krakau konnte ich zusammen mit hunderttausenden Jugendlichen wieder erfahren, wie sehr dieser Papst den Finger auf die Wunden unserer Zeit legt und uns zu einer Barmherzigkeit aufruft, die dem Wesen Gottes entspricht. Welcher Jubel bei den Jugendlichen, welche Hoffnung bei uns Älteren, dass viele Menschen diese Botschaft verstehen und beherzt umsetzen mögen.

Schon in der ersten Lesung aus dem Buch der Weisheit, die wir heute Morgen hörten, wurden wir aufgefordert, ein waches und hörendes Herz zu haben, damit neben dem Studium und dem gewissenhaften Nachdenken auch das Gebet nicht zu kurz kommt. Auch hier wird die Herausforderung zwischen unserem Ausgespanntsein zwischen Himmel und Erde in den Worten deutlich: „Wir erraten kaum, was auf der Erde vorgeht, und finden nur mit Mühe, was doch auf der Hand liegt: Wer kann dann ergründen was im Himmel ist?“ Einsicht und Weisheit können uns nur von Gott geschenkt werden.

Der heilige Paulus hat in der heutigen zweiten Lesung im Blick auf Onésimus, einem treuen Gefährten, der ihm als Sklave im Gefängnis diente, alle menschlichen Barrieren überwunden und ihn in väterlicher Liebe als seinen Sohn angenommen. Hierin wird die Kraft des Glaubens sichtbar, eine Kraft, die menschlich aufgebaute Grenzen einreißt und überwindet. Ist nicht genau das, was auch diese Abtei ausmacht?

Schließlich hören wir im heutigen Evangelium, dass die letzte Konsequenz der Nachfolge Jesu im Loslassen allen Besitzes und aller anderen menschlichen Bindungen der Weg in eine Freiheit ist, die irdische Grenzen übersteigt und uns schon jetzt den Himmel einen Spalt weit öffnet.

Genau das, was hier in Münsterschwarzach durch die 1200 Jahre gelebt wurde, ist auch die große Herausforderung und Chance unserer Zeit.

Amen.