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„Wie viel Religion verträgt die Öffentlichkeit?“

Ansprache von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg am 22. Januar 2017 im Würzburger Rathaus

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

verehrte Mitglieder des Stadtrates, liebe Angestellte und Beamte unserer Stadt,

liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, meine sehr geehrten Damen und Herren,

da mein letztes Jahr als Bischof von Würzburg begonnen hat, fällt mir die Ehre zu, nach einer Unterbrechung von fünf Jahren wieder und wohl zum letzten Male die Neujahrsansprache im Rathaus halten zu dürfen.

Viel ist in diesen letzten fünf Jahren geschehen – gerade bei uns in der Kirche. Besonders die Missbrauchsfälle schmerzen und haben unser Bistum und mich ganz persönlich gebeutelt. Das große Versagen Einzelner im Inneren der Kirche und das damit übergroß verursachte Leid bedauere ich von ganzem Herzen. Ich kann mich dafür immer nur entschuldigen, mich den Opfern zuwenden und präventiv für eine bessere Zukunft arbeiten.

Ich durfte aber auch eine Reihe von Höhepunkten erleben: Neben vielen Firmungen, Priester- und Diakonenweihen, Altar- und Kirchweihen waren es vor allem die Gründung und Fortführung unserer Diözesanpartnerschaften mit Mbinga in Tansania und Óbidos in Brasilien. Prägend bleiben mir die beiden Seligsprechungsfeiern von Pfarrer Georg Häfner und Pater Engelmar Unzeitig in unserem Dom in Erinnerung.

Das Thema, das uns in Kirche und Gesellschaft augenblicklich wohl gleichermaßen beschäftigt, ist das Thema von Flucht, Vertreibung und Überlebensängsten – das globale Migrationsproblem.

Hier hat Deutschland eine führende Rolle in der Bereitwilligkeit der Aufnahme von Flüchtlingen gespielt. Und mit großer Freude kann ich sagen, dass in Unterfranken und auch in der Stadt Würzburg im Blick auf die Flüchtlingsarbeit Großartiges geleistet wurde. Neben den hauptamtlich für die Flüchtlingsarbeit tätigen Personen sind zirka 2200 Frauen und Männer in Pfarreien, kirchlichen Verbänden und Helferkreisen allein bei uns in der Caritas und oft auch in ökumenischer Gemeinschaft engagiert. Ihnen allen – und auch den von Berufs wegen engagierten Mitarbeitern – ist für ihre tatkräftige Hilfe zu danken.

Grundsätzliche Probleme gibt es dabei im Bereich der Verständigung. Mangelnde Deutschkenntnisse und kulturelle Unterschiede führen zu Irritationen und Missverständnissen. Es gibt die Gefahr der Überforderung der Ehrenamtlichen, aber auch die Gefahr eingeschränkter staatlicher Refinanzierungen in der Flüchtlings- und Asylberatung aufgrund der rückläufigen Zahl ankommender Flüchtlinge.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass viele unserer Mitbürger Angst um ihre Zukunft haben. So manche befürchten, dass ihnen finanzielle Mittel zugunsten der Flüchtlinge gekürzt werden. Andere haben Angst vor der Vielzahl der Zuwanderer, ihren fremden Kulturen und deren anderen Glauben.

Die verbrecherisch und abscheulich zu nennenden, islamistisch motivierten Attentate und Terrorakte der jüngsten Zeit – bis hin zur Heidingsfelder Bluttat im Juli des vergangenen Jahres und dem Berliner Weihnachtsmarktattentat vor wenigen Wochen – lassen eine Angst vor dem Islam anwachsen. Diese Ängste um die eigene Sicherheit sind sehr ernst zu nehmen und aufzugreifen, aber auch ins rechte Maß zu rücken

Es darf auf keinen Fall bei unseren Mitbürgern gekürzt werden, die ohnehin wenig haben. Das haben offensichtlich auch die Politiker im Blick. Andererseits erfordert die indifferente Angst vor dem Islam durch Aufklärung, Begegnung mit den Menschen und das Kennenlernen ihres Glaubens eine wichtige Brücke zur Verständigung. Dabei dürfen die großen Unterschiede zwischen unseren Religionen nicht ausgeblendet werden, sondern müssen in aller Offenheit auch angesprochen werden. Sowohl unsere theologische Fakultät, aber auch unser diözesanes Referat für den interreligiösen Dialog mühen sich schon seit einiger Zeit sehr eifrig um den Gesprächsfaden.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Ursachen der Flüchtlingskatastrophen in deren Heimatländern angegangen werden, damit keine Notwendigkeit zur Emigration bestehen bleibt. Diesbezüglich hat der EU-Gipfel konkrete Schritte eingeleitet, die bis Ende Juni 2017 vorgelegt werden sollen.

Mitentscheidend ist aber auch, dass sich ganz Europa in einer effektiven Solidarität um eine gerechte Verteilung der Hilfesuchenden einfindet und nicht nur wenige Länder mit der Lösung der Probleme alleine lässt. Allerdings müssen auch die oft angemahnten strengen Einreisekontrollen durchgeführt und straffällig gewordene Asylsuchende ausgewiesen werden.

Der Begriff „christliches Abendland“ darf nicht von rechten Gruppen als Waffe missbraucht werden, sondern muss in der Rückbesinnung auf die christlichen Werte, die unsere Länder geformt und geprägt haben, zu einer konkreten Hilfe für die von Katastrophen heimgesuchten Länder und für die einzelnen Menschen, die von diesen Katastrophen betroffen sind, führen.

Den Kirchen wird manches Mal der Vorwurf gemacht, sie verharmlosten den Islam, und verschwiegen feige ihren eigenen Auftrag zur Missionierung. Dazu kann ich nur sagen: Jeder Mensch in Not hat ein Anrecht auf unsere Hilfe. Als Christen begegnen wir in jedem leidenden Menschen Christus. Christus selbst sagt: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Das Handeln nach dem Beispiel Christi ist die Art, wie Christen Missionierung verstehen.

Dabei geht es ja bei der Flüchtlingshilfe bei weitem nicht nur um den Islam. Wir dürfen nicht die Christen vergessen, die weltweit zurzeit die größte Gruppe unter den verfolgten Menschen bilden. Es sollen mehr als 100 Millionen sein! Beim ökumenischen Gottesdienst vor Weihnachten im Dom mit zirka 900 Flüchtlingen und deren Helfern habe ich wieder viele bedrückende Einzelschicksale kennen gelernt.

Wir müssen erwarten dürfen, dass die bei uns lebenden Flüchtlinge islamischen Glaubens sich in aller Deutlichkeit von den Verfolgungen Andersgläubiger in ihren Heimatländern distanzieren und dort das gleiche Recht auf Religionsfreiheit einfordern, wie sie es bei uns erleben.

Aber wir dürfen nicht beklagen, dass viele Menschen muslimischen Glaubens die Moscheen füllen, während unsere Kirchen leerer werden. Das derzeit bei uns schwächelnde Christentum kann doch nicht dem Islam angekreidet werden. Es liegt an uns, unseren eigenen Glauben besser kennen und lieben zu lernen. Gelebter Glaube ist die beste Motivation für einen überzeugenden christlichen Glauben.

Aber lassen sie mich nun den Blick weiter auf das vor uns liegende Jahr 2017 richten.

Wenn in diesem Jahr die evangelischen Kirchen 500 Jahre Reformation feiern, dann können wir als Katholiken im Blick auf die Einheitsbitte Jesu neben der betrüblichen Spaltung, die uns auch heute belastet, doch auch das Gute in den Blick nehmen, das uns durch die Reformation geschenkt wurde: zum Beispiel das nicht immer leicht zugängliche, aber vertiefte Verständnis des Wortes Gottes in unseren Heiligen Schriften, die lebendige Gestaltung der Liturgie durch deutsche Lieder, das gewachsene ökumenische Miteinander – auch über die christlichen Konfessionen hinaus – und überhaupt die neu geweckte Bereitschaft, sich den Fragen des heutigen Menschen zu stellen und darin den Anruf Gottes zu entdecken.

Ein weiteres Unterfranken betreffendes Jubiläum ermöglicht uns in diesem Jahr, Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, dessen 400. Todestag (†13.09.1617) wir ebenfalls in Feiern und Ausstellungen gedenken, neu zu entdecken und zu bedenken. Er ist sicherlich in seiner strengen gegenreformatorischen Haltung nicht unumstritten, aber er war nicht der große Hexenverfolger, wie gerade in jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen deutlich festgestellt wurde. Noch heute ist auch die Stadt Würzburg sichtbar von ihm geprägt. Ich denke dabei nicht nur an die vielen Kirchenbauten mit ihren spitzen „Echter-Türmen“, sondern auch an die Julius-Echter-Stiftungen, allen voran das Würzburger Juliusspital, die bis heute viel Gutes bewirken.

Im sportlichen Bereich, der in der Stadt sehr vielfältig und erfolgreich aufgestellt ist, wollen die Würzburger Kickers am 21. Mai, dem letzten Spieltag der Zweiten Bundesliga, beweisen, dass sie das Ziel, den Klassenerhalt, erreichen können. Es sieht gut aus und wir wünschen sicherlich alle den Rothosen diesen sensationellen Erfolg, der auch den Bekanntheitsgrad Würzburgs stärkt!

Würzburg ist immer wieder in aller Munde. Nicht nur der weltberühmte russische Clown Popow, der Millionen verzauberte und Anfang November im Alter von 86 Jahren verstarb, soll auf einer Pressekonferenz 2012 verraten haben, dass die Domstadt Würzburg seine Lieblingsstadt sei. Die wachsenden Besucherzahlen, die stets steigende Anzahl der Studierenden an der Universität und den Hochschulen zeugen vom Beliebtheitsgrad Würzburgs.

War nach dem EU-Beitritt Kroatiens im Jahre 2013 offiziell der Mittelpunkt Europas in der kleinen Gemeinde Westerngrund im Landkreis Aschaffenburg zu finden, so ist nach dem kommenden „Brexit“, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, voraussichtlich der Mittelpunkt – in Würzburg! Ob die genaue Stelle – mit oder ohne Berücksichtigung der Erdkrümmung – zwischen Randersacker oder Höchberg liegt, mag dahingestellt bleiben. Wichtig ist doch, das Würzburg selbst nicht über diese äußere Mitte seine innere Mitte, seinen Mittelpunkt verliert.  Und das sind die uns überkommenen christlichen Werte.

Würzburg gewinnt nicht nur aus seiner zentralen Lage in Europa weitere Aufmerksamkeit, sondern auch durch die spektakulären Knochenfunde von Ötzis Zeitgenossen aus Leinach – vor 4000 Jahren. Hiermit wird nämlich die alte Theorie bestätigt, dass dort schon in der ausgehenden Jungsteinzeit eine Siedlung bestanden hat.

Das Interesse der Bevölkerung an Unterfranken und Würzburg hält unvermindert an. Ja, gerade die große Bereitschaft, sich in Stiftungen zu engagieren, lässt Würzburg zu Deutschlands Stifterdomäne werden. Mit 92 Stiftungen auf 100.000 Einwohner liegt Würzburg mit Abstand vor Hamburg und Oldenburg an der Spitze des Rankings.

Es ist gut, dass Würzburg gegenüber „Populisten und den Ewiggestrigen“ die offene Gesellschaft verteidigt. Dabei soll nicht nur der Wissensstandort Würzburg mit zahlreichen neuen oder erweiterten Einrichtungen gestärkt werden, sondern auch die Kultur und – ich füge hinzu – die vielen kirchlichen, jüdisch-christlichen und ökumenischen Initiativen, die Würzburg zukunftsfähig machen wollen.

Wenn auch seit April 2016 im Dom der Klopapier-Klau umging – und diese anrüchige Angelegenheit geschah peinlicherweise gerade an Wochenenden –, so rückten doch die Küster und ehrenamtlichen Mitarbeiter diesem Problem – wie ich hoffe: erfolgreich – zu Leibe.

Glücklicherweise hatte dies keine Auswirkung auf Würzburgs Stellung innerhalb der dynamischsten Großstädte 2016 in Deutschland. 69 Metropolen mit über 100.000 Einwohnern wurden unter die Lupe genommen. Würzburg musste sich laut Studie nur München und Ingolstadt geschlagen geben, und kam auf den beachtlichen Platz 3 im Städte-Ranking. Bei der Beurteilung des Niveaus einer Stadt liegt Würzburg auf Rang 15.

Umso wichtiger ist, dass Würzburg an seiner Zukunft baut und die anstehenden Probleme anpackt, wenngleich sich manche Probleme – zum Beispiel das Mozartgymnasium und die Gestaltung des Kardinal-Faulhaber-Platzes – wie zäher Kaugummi ziehen.

Hoffentlich interessiert sich Würzburg nicht für einen Standort auf dem Mars. Ein US-Milliardär hat im vergangenen Jahr detaillierte Pläne zur Besiedelung des Mars vorgestellt. Er strebt eine Kolonisierung des Roten Planeten an. Wenn ich allerdings auf das Ende der wohl spektakulärsten Mission mit der Kometen-Sonde Rosetta schaue, die zwei Jahre lang den Schweifstern „67/Tschurijumow-Gerassimenko“ begleitet und aus nächster Nähe erforscht hat, und nun nach ihrer fast zwölfeinhalb Jahre dauernden Reise aus Mangel an Treibstoff und Solarenergiezufuhr auf die Kometenoberfläche gestürzt ist, frage ich mich schon nach der Belastbarkeit solcher Zukunftspläne.

Da ist mir Würzburg, wo ich auch nach meinem Rücktritt als Bischof von Würzburg gerne weiter leben möchte, doch viel lieber.

Aber Spaß beiseite: Ernsthafte Sorgen bereitet mir die Entwicklung unserer Gesellschaft. „Postfaktisch“ lautet das Wort des Jahres 2016. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat dieses Adjektiv „postfaktisch“ vom Wort „post truth“ der Oxford Dictionaries übernommen. Dort war es schon zuvor als das „Word of the Year 2016“ gewählt worden. Der Inhalt dieses Kunstwortes will besagen, „dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht“. Es geht um eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, die von der Wahrheit zur gefühlten Wahrheit übergeht. Nicht die Fakten zählen, sondern das Gefühl. Dabei werde man geradezu bereit, auch Lügen statt der Wahrheit zu akzeptieren, schreiben Kritiker.

In der FAZ war zu lesen: „Das Präfix ,post‘ steht laut GfdS für ‚die Vorstellung einer neuen Epoche.“ Das lässt einen schon vorsichtig werden. Besteht darin nicht auch die Gefahr, dass dann Religion in der Öffentlichkeit als Störfaktor gesehen wird? Durch die Diagnose „Wir leben in post-säkularen Zeiten“ kommt die Frage auf: Wie viel Religion verträgt die Öffentlichkeit? Umgekehrt kann man aber auch fragen: Wie viel Privatisierung verträgt die Religion? Fängt der Glaube nicht da an, wo das Wissen an seine Grenzen stößt? Eine vollständig privatisierte Religion untergräbt die Ausrichtung am Gemeinwohl.

Neben der Beschäftigung mit der Neuordnung pastoraler Strukturen, die uns kirchlicherseits schon eingeholt hat, kann es uns in Zukunft nicht nur um bloße Wissensvermittlung gehen „und schon gar nicht um Belehrung, sondern darum, religiöse Überzeugungen zur Verständigung auszusetzen. Das ist nicht davon zu trennen“ schreibt Ana Honnacker, „auch Verantwortung für ihre Wirkungen zu übernehmen.“

Ich komme zum Anfang meiner Rede zurück.

2015 wurde der Begriff Gutmensch zum Unwort des Jahres erklärt. Schon 1992 – also vor 25 Jahren – wurde dieser Begriff für jene verwendet, die – in der FAZ nachzulesen –, „damals … meinten, eine ,deutsche Identität‘ lasse sich auf regionaler Grundlage gewinnen, die einen larmoyanten Moralismus pflegten und unempfänglich seien für die Ambivalenzen der Moderne.“ Heute trifft dieser Begriff Menschen, die ehrenamtlich Toleranz und Hilfsbereitschaft in der Flüchtlingshilfe praktizieren und sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime wehren.

Die politische Lage von 1992 ähnelte der heutigen nicht einfach durch den Einwanderungsvorgang. Es geht vielmehr darum, dass – ich zitiere: „damals die Fremdenfeinde mit demselben Begriff (attackiert wurden), ... (der heute) auch zur Beschreibung ... (des religiösen Eiapopeia) von Kirchentagen, der Pädagogisierung des Geistes an den Universitäten und der Phrasen von Kapitalismuskritikern ...(eingesetzt wird).“

Würzburg, die Stadt und das Bistum, sind deshalb so liebenswert, weil es hier viele Gutmenschen gibt, die Worten Taten folgen lassen. Ich habe die Franken in den letzten zwölf Jahren als Menschen erlebt, die zwar nicht das Herz auf der Zunge tragen, es dafür aber beherzt in die Hand nehmen. Und deshalb bleibe ich auch in Zukunft „Wahl-Franke“ und Würzburg bleibt meine Heimat.

Ich danke Ihnen!